Das eigene Netzwerk – Zwischen Privatsphäre & Arbeitsplatz
Eigentlich ist der Begriff falsch. Korrekt aus dem Englischen übersetzt würde es einfach «Netz» heissen, aber das versteht schon bald niemand mehr. Aber worum geht es eigentlich bei einem Netzwerk und wozu ist es gut?
Ein Netzwerk ist ein Geflecht von Beziehungen – einerseits die direkten Beziehungen zu mir selber und andererseits die Beziehungen zwischen diesen Personen. Eine einfache mathematische Formel zeigt auf, wie die Anzahl der Beziehungen exponentiell wachsen kann: n, mal n plus 1, dividiert durch zwei. Wenn also mein Netz mit mir selber 50 Personen umfasst, ergeben sich daraus 1 275 mögliche Beziehungen. Die wichtigste Erkenntnis daraus ist die Tatsache, dass jede Veränderung das ganze System beeinflussen kann. In der Praxis kann das erleben, wer in einem Team eine Person entlässt und feststellt, dass sich die Qualität des Teams als Folge grundlegend ändern kann.
Wo befindet sich das Netzwerk?
Als Folge steigender Mobilität und der technischen Möglichkeiten für die Kommunikation hat der lokale Aspekt viel an Bedeutung verloren. Wir wissen, was Frau X am Mittag in Seattle für eine Pizza bestellt hat, aber wir merken nicht mehr, wenn unser Nachbar für Wochen ins Ausland geht. Beziehungen verlagern sich auf das «andere» Netz, das Internet, wo Milliarden von «Freunden», «Followern» und anderen Akteuren gratis die Provider mit Daten für ein immer ausgefeilteres Marketing füttern. Wer in der ganzen Welt Verwandte hat, schätzt diese Plattformen durchaus. Andererseits werden wir in den nächsten Jahren noch viel Unfug erleben – vom gehackten Konto bis zur Totalüberwachung des gläsernen Bürgers.
Auch hier gilt: Die Technologie ist weder gut noch schlecht, es kommt auf die Anwendung an. Eines ist aber sicher: Solange wir Menschen aus Fleisch und Blut sind, solange wir mit mehreren Sinnen kommunizieren, so lang wird das alte Prinzip gelten: You can’t fax a handshake.
Wie gross muss ein Netzwerk sein?
Dies gleich vorab: Es kommt nicht auf die Grösse, sondern auf die Qualität an. Erstens sind persönliche Beziehungsnetze keine geschlossenen Systeme, sie hängen alle mit weiteren Netzen zusammen, und die Gesamtgrösse entspricht theoretisch der Bevölkerungszahl des Planeten. Ein Mathematiker will herausgefunden haben, dass wir alle verbunden sind, wenn nur Jeder 6 direkte Beziehungen hat. Zweitens ist es fast unmöglich, grosse Datenbestände zu verwalten. So hat in der Schweiz beispielsweise gemäss einer Studie jedes dritte Unternehmen Probleme mit der Adressverwaltung. Dies ganz einfach, weil diese Knochenarbeit etwa gleich beliebt ist wie bei Kindern das Aufräumen ihres Zimmers.
Wer tummelt sich in Ihrem Netz?
Eine traumhafte Vorstellung: Alle Personen in meinem Netz warten nur darauf, mir Gutes zu tun und meine Qualitäten bei jeder Gelegenheit beliebt zu machen. Tatsächlich ist das Publikum sehr gemischt. Relativ selten kommt der Feind vor, weil diese Sorte sofort nach der Identifizierung eliminiert wird. Häufiger sind dagegen die Unentschiedenen und die Passiven. Von diesen Leuten erfahren wir wenig, hin und wieder ein wenig Unterstützung, aber nicht selten auch das Gegenteil, und das aus einem einfachen Grund: Niemand im Netz hat stets hundertprozentig die gleichen Interessen. Und Interessen sind das Lebenselixier von Netzen. Wer hundertprozentig autark ist, braucht kein Netz. Wirklich interessant ist sodann eine ganz kleine Gruppe: Jene, die uns immer wieder gute Kontakte und Gelegenheiten vermitteln. Es lohnt sich, diese Gruppe zu identifizieren und sie intensiv und mit grösster Sorgfalt zu pflegen.
Wie pflegt man sein Netz?
Wer ständig einen vollen Kalender hat und trotzdem nebenbei zweitausend Beziehungen pflegen kann, wäre zu beneiden, wenn er denn existierte. Echte Beziehungspflege kostet Zeit. Sie lässt sich nicht automatisieren. Niemand glaubt ernsthaft, dass ein grosser Modehändler ein rauschendes Fest begeht, wenn wieder ein Kunde Geburtstag hat und einen Gutschein über zwanzig Franken erhält, der ab einem Einkaufswert von dreihundert eingelöst werden kann. Beziehungspflege hat mit den wertvollsten Ressourcen der modernen Zivilgesellschaft zu tun: Zeit und Aufmerksamkeit.
Was bedeutet das für Unternehmen?
Die klassischen Methoden der Marktbearbeitung wie Werbung und Public Relations werden ihre Bedeutung nicht verlieren. Da der Wettbewerb um Aufmerksamkeit immer härter wird, werden die Kosten dafür nicht sinken, sondern eher noch steigen. Stark unter Druck werden jene Mittel kommen, die weder die emotionale Wirkung von Werbung entfalten noch effektiv individuell und persönlich sind: Massenmailings, schlechte Newsletters (die meisten sind schlecht), Massenanrufe durch Call Centers. Die Zukunft gehört dem gewieften Netzwerker, der seine Ressourcen gut einteilt, seine Kunden kennt und genau weiss, wie und wann sich eine Aktivität lohnt. Und eines weiss er auch: Wer eine Beziehung aufzubauen versucht, wenn er dringend darauf angewiesen ist, hat schon verloren. Man kann das übrigens auf einfache Weise testen: Einen fast vergessenen Studienfreund anrufen, ihn zum Bier einladen und ihm erzählen, dass der Job weg ist und die Bank Theater macht.